Wirtschaftspolitik
Bürokratieabbau in Rheinland-Pfalz: Was die Politik tun kann
Ob digitale Kontaktnachverfolgung während der Corona-Pandemie, Antragsverfahren für die Wiederaufbauhilfe im Ahrtal oder Umstieg auf alternative Energieträger während der Energiepreiskrise – die jüngsten Krisen haben die Schwerfälligkeiten im deutschen Verwaltungsapparat schonungslos offengelegt. Die Komplexität neuer politischer Herausforderungen und föderale Strukturen, „Behörden-Deutsch“ und Personalmangel, aber auch ein häufig veraltetes Verwaltungsleitbild in den Behörden führen dazu, dass die Frustration bei Unternehmerinnen und Unternehmern oft groß ist. Viele Bürokratiehemmnisse haben ihren Ursprung in Brüssel oder Berlin. Doch was hat das Land selbst in der Hand?
- 1. Bauvorhaben von Unternehmen erleichtern: Harmonisierung der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz auf Basis der Muster-Bauordnung des Bundes
Unternehmen, die in mehreren Bundesländern aktiv sind, müssen bei Bauvorhaben teilweise unterschiedliche Landesregelungen beachten. Eine stärkere Harmonisierung der Landesbauordnungen der Länder auf Basis der Muster-Bauordnung des Bundes (MBO) könnte daher einen wichtigen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten.Die vom Finanzministerium Rheinland-Pfalz angekündigte Novelle der Landesbauordnung (LBauO) sollte dazu genutzt werden, die Harmonisierung der Regelungen auf Basis der MBO weiter voranzutreiben. Wo immer sinnvoll möglich, sollte zudem auf eine Beschleunigung und weitere Digitalisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren hingewirkt werden.
- 2. Hürden bei der Unternehmensnachfolge abbauen: Bestandsschutz für bauliche Maßnahmen nicht durch nachträgliche Anforderungen aus dem öffentlichen Baurecht konterkarieren
Damit Unternehmensnachfolgen bei Gründungsinteressierten und in der Belegschaft eine echte Option darstellen und die Wertschöpfung eines Unternehmens erhalten bleiben kann, sind Karenzzeiten für die steuerliche Betriebsprüfung, das Aussetzen von Meldepflichten sowie bürokratischen Auflagen und der Bestandschutz für bauliche Maßnahmen essenziell.Bei Baumaßnahmen infolge einer Betriebsnachfolge – beispielsweise in Form einer Erweiterung oder eines Anbaus – ermöglicht es § 85, Abs. 2 LBauO der Bauaufsichtsbehörde, Anforderungen aus dem Bauordnungsrecht (wie bspw. dem Brandschutz) nicht nur an die betroffenen Bereiche der Baumaßnahme, sondern nachträglich für das gesamte Betriebsgebäude zu stellen. Zwar dürfen hierdurch keine unzumutbaren Mehrkosten entstehen, doch wie unzumutbare Mehrkosten definiert werden, hängt wiederum von einer Einzelfallentscheidung der Baubehörde ab. So kann die Erteilung einer Genehmigung unter dieser Auflage schnell zum Streitpunkt werden. Die Auslegung, ab wann Kosten unzumutbar sind, muss unbedingt restriktiv erfolgen.Ein anderes Problem sind in diesem Zusammenhang die Mehrfachprüfung von unterschiedlichen Behörden und die Vorgabe unterschiedlicher Maßvorgaben. Während in der deutschlandweiten Arbeitsstättenverordnung keine Mindestvorgaben für die Raumhöhe von Arbeitsräumen mehr vorgegeben werden, schreibt § 43, Abs. 1 der LBauO eine verpflichtende Höhe von 2,40 Meter vor. Die Raummaße ist somit nicht flexibel auslegbar und kann sich nicht an der Art der körperlichen Beanspruchung und der Anzahl der Beschäftigten orientieren. Die Übertragung der konkreten Gestaltung beispielsweise der Raumhöhe oder der Treppengeländer sollte in die Unternehmensverantwortung gelegt werden.
- 3. Unsicherheit bei Berechnung der Grundsteuer minimieren: Beim Modell der Grundsteuerreform umschwenken
Von Grundsteuererhöhungen sind gewerbliche Unternehmen mit großen Flächen und starker Bebauung, wie beispielsweise Industrie- und Logistikunternehmen, besonders betroffen.Das im Rahmen der Grundsteuerreform in Rheinland-Pfalz angewandte Bundesmodell ist kompliziert und mit enormem Aufwand verbunden, da es die meisten Daten erfordert und durch eine Vielzahl von Variablen möglichst genau den Wert des Grundstücks und des Gebäudes abzubilden versucht. Gerechnet wird dafür mit Bodenrichtwert, Grundstücksfläche, Immobilienart, statistischer Nettokaltmiete, Gebäudefläche, dem Gebäudealter und einer Mietniveaustufe. Zudem herrscht Rechtsunsicherheit: Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat am 23. November 2023 in zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23) zu den Bewertungsregeln des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden, dass die Vollziehung der dort angegriffenen Grundsteuerwertbescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit („sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln“) auszusetzen ist. Ein Umschwenken auf ein einfacheres und verständlicheres Modell wie das wertunabhängige Flächenmodell sollte in Betracht gezogen werden.
- 4. Markt vor Staat beim Zubau von Anlagen für Erneuerbare Energien: Auf Eigenmotivation statt Installationspflicht setzen
Seit dem 1. Januar 2023 besteht mit dem Inkrafttreten des Landessolargesetzes (LSolarG) für Gewerbeneubauten auf Dächern und auf zu errichtenden Überdachungen von neuen gewerbezugehörigen Parkplätzen ab 50 Stellplätzen die Pflicht zur Installation einer Photovoltaikanlage. Ab dem 01. Januar 2024 wurde die Pflicht auch auf öffentliche Gebäude und Parkplätze ausgeweitet – auch bei Dachsanierung. Andere Gebäude werden dazu verpflichtet, ihre Dächer „PV-Ready“ zu gestalten, also für die Installation einer PV-Anlage vorzubereiten. In der Durchführungsverordnung (LSolarGDVO) werden Regelungen unter anderem zu Ausnahmen von der Installationspflicht, Mindestanforderungen an die ersatzweise Pflichterfüllung, Befreiungen von der Pflicht sowie zu Nachweisen, Vollzugsbestimmungen und Begriffsdefinitionen getroffen.Die grundsätzliche EE-Zubauverpflichtung führt zu höherem Planungs- und Finanzaufwand bei Unternehmen, da z. B. die Unwirtschaftlichkeit einer EE-Anlage im Einzelfall vom Marktteilnehmer (!) nachzuweisen ist. Statt auf eine Installationspflicht von Photovoltaik-Anlagen sollte – auch vor dem Hintergrund der Regelungen der Leistungseinspeisung (Redispatch) – besser auf die Eigenmotivation der Unternehmen gesetzt werden.
- 5. Ausführung des Gaststättengesetzes modernisieren: Anzeigepflicht statt Erlaubnispflicht in der Gastronomie
In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Regelungen zum Gaststättenrecht, insbesondere bezüglich des Alkoholausschanks. Einige Bundesländer haben die "Erlaubnispflicht" abgeschafft (Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) und durch eine "Anzeigepflicht" ersetzt, während in anderen Ländern wie Rheinland-Pfalz weiterhin eine Gaststättenerlaubnis erforderlich ist, die verschiedene Nachweise zur Zuverlässigkeit und zur fachlichen Eignung erfordert (u.a. Unterrichtungsbescheinigung der IHK). Für den dauerhaften Ausschank von alkoholischen Getränken werden zusätzlich ein Behördenführungszeugnis, ein Nachweis über den beantragten Abzug aus dem Gewerbezentralregister und eine Bescheinigung in Steuersachen verlangt.Eine Novellierung der Gaststättenverordnung (GastVO) in Rheinland-Pfalz muss vor diesem Hintergrund die Abschaffung der Erlaubnispflicht für den Ausschank von alkoholischen Getränken und die Einführung einer Anzeigepflicht für die gesamte Gastronomie, einschließlich Speisen und Getränken, beinhalten. Die lebensmittelrechtlichen Kenntnisse werden gemäß der deutschlandweiten Lebensmittelhygieneverordnung durch Fachschulungen vermittelt und die Einhaltung der Vorgaben durch Lebensmittelkontrollen überprüft. Der Unterrichtungsnachweis der IHK wird deshalb nicht mehr benötigt. Die Anpassungen würden den bürokratischen Aufwand und die Kosten für Gaststättenbetreiber reduzieren und vergleichbare Regelungen zu den Nachbarländern Hessen und Saarland schaffen.
- 6. Anlassbezug bei der Sonntagsöffnung: Verkaufsoffene Sonntage rechtssicher und unbürokratisch ermöglichen
Verkaufsoffene Sonntage sind für den stationären Einzelhandel ein wichtiges Instrument, um die Kundenbindung zu optimieren und die eigene Reichweite zu erhöhen. In Rheinland-Pfalz sind diese nach § 10 Ladenöffnungsgesetz (LadöffnG) nur erlaubt, wenn sie an einen Anlass gekoppelt sind. Dies bedeutet, dass in der jeweiligen Kommune eine Veranstaltung stattfinden muss, die mehr Besucherinnen und Besucher anzieht als durch die Ladenöffnung dorthin kommen würden. Deshalb müssen Besucherzahlen im Vorfeld prognostiziert werden, was vor allem bei neuen und innovativen Veranstaltungsformaten schwierig ist und damit Rechtsrisiken für die Gemeinde bedeutet. Der Aufwand für Kommunen, eine rechtssichere Durchführung zu gewährleisten, wird somit immer größer. Das führt teilweise zu sehr umfassenden Begründungen (bis zu 70 Seiten), die dann auch wieder von den lokalen Gewerbevereinen und Standortinitiativen mit begleitet werden müssen. Die macht es nahezu unmöglich, neue Veranstaltungsformate in Verbindung mit verkaufsoffenen Sonntagen auszuprobieren. Gleichzeitig zeigen Statistiken, dass viele innenstadtrelevante Sortimente im Onlinehandel vor allem sonntags gekauft werden. Die Regelung ist deshalb nicht mehr zeitgemäß und muss von Landespolitik, Kommunen, Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaft gemeinsam überarbeitet werden.
- 7. Bürokratieabbau für den Buchhandel: Entbehrlichkeit eines wettbewerbsoffenen Verfahrens in den Vergabeverfahren bei der Schulbuchbeschaffung in Rheinland-Pfalz
Seit 1. August 2022 gelten die Bestimmungen für die Beschaffung gedruckter Lernmittel der neuen Verwaltungsvorschrift „Öffentliches Auftrags- und Beschaffungswesen in Rheinland-Pfalz“. Buchhandlungen in Rheinland-Pfalz beklagen hier allerdings seit Beginn des Schuljahres 2023/24 für sie negative, und gleichzeitig vermeidbare Konsequenzen. Überschreiten die staatlichen Schulbuchkäufe einen Gesamtwert von 10.000 Euro, muss die Beschaffung der Schulbücher ausgeschrieben werden, ab einem Wert von 215.000 Euro sogar europaweit. Aufgrund der in Deutschland rechtlich festgeschriebenen Buchpreisbindung im Schulbuchgeschäft sind allerdings sämtliche Angebote identisch. Daher entscheidet das Los, welche Buchhandlung den Zuschlag erhält und der Kauf in der Buchhandlung vor Ort wird unterbunden, obwohl hier langjährige Partnerschaften aufgebaut wurden. Dadurch gehen nun Händler vor Ort leer aus und der – trotz der geringen Gewinnmarge – nicht zu unterschätzende Zusatzumsatz bleibt aus. In der aktuellen Verfahrensweise hat das wettbewerbsoffene Verfahren also die absurde Konstellation zur Folge, dass trotz der völlig identischen Angebote Schulen in Rheinland-Pfalz Bücher z. B. aus Buchhandlungen in NRW beziehen müssen und damit lokale Partnerschaften zwischen Schulen und Buchhandlungen nicht aufrecht erhalten werden können.Ein Rechtsgutachten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V. widerspricht zudem der Auffassung, eine Veränderung der Verwaltungsvorschrift sei aufgrund der europarechtlichen Vorgaben notwendig gewesen. Weder das rheinland-pfälzische Haushaltsrecht noch das europäische oder das nationale Vergaberecht würden demnach für die Schulbuchbeschaffung einen Vergabewettbewerb voraussetzen. Ziffer 5.1 Abs. 3 der Verwaltungsvorschrift könne daher ersatzlos gestrichen werden. Bei der Schulbuchbeschaffung würde die freie Vergabe von Seiten der Schulen vor dem Hintergrund, dass aufgrund der Preisbindung ohnehin kein Wettbewerb bzw. freier Markt im Vergabeverfahren besteht, ein unnötiges bürokratisches Hindernis beseitigen und gleichzeitig in einer konjunkturell schwierigen Zeit eine Unterstützung für den lokalen Buchhandel in Rheinland-Pfalz darstellen.
- 8. Verwaltungsaus- und -weiterbildung: Dienstleistungsorientiertes Handlungsleitbild der Verwaltung etablieren
Die mangelnde Dienstleistungsorientierung vieler Behörden stellt ein beträchtliches Hindernis für die Geschäftstätigkeit von Unternehmen dar. Im Publikumsverkehr fehlt es den Behörden häufig an Pragmatismus und Anpassungsfähigkeit. Stattdessen nehmen Betriebe teilweise eine besonders strikte Kompetenz- und Regelauffassung wahr, oder sogar eine pauschale Abneigung gegenüber unternehmerischer Tätigkeit. Darüber hinaus mangelt es in vielen Fällen an Entscheidungsfreude und kommunikativer Verbindlichkeit seitens der Verwaltung.Kundenorientierung, Agilität und Pragmatismus müssen deshalb als Handlungsleitbild der Verwaltungen etabliert werden. Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter müssen – idealerweise schon in der Ausbildung oder durch gezielte Weiterbildung und Hospitationen – wirtschaftliches Praxiswissen erwerben und ein Bewusstsein für unternehmerisches Handeln entwickeln. In Rheinland-Pfalz sind daher insbesondere die Lehrpläne folgender Einrichtungen in den Blick zu nehmen:
- Zentrale Verwaltungsschule Rheinland-Pfalz (Ausbildung)
- Hochschule für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz (Studium)
- Hochschule für Finanzen Rheinland-Pfalz (Studium)
- Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (Studium)
- Kommunalakademie Rheinland-Pfalz (Kooperationspartner der HöV in der Fort- und Weiterbildung)